Nachdem in den vergangenen Wochen auch zwei Deutsche am Mount Everest ums Leben gekommen sind, wurde auch hierzulande die aktuelle Situation am höchsten Berg der Welt diskutiert. Ganz zu recht wird dabei kritisiert, dass viele der “Bergsteiger” am Everest nicht über genug bergsteigerisches Können für eine Besteigung verfügen. Ihre alpinistischen Defizite versuchen sie mit prall gefüllten Portemonnaies wettzumachen: Sie nehmen für viel Geld an kommerziellen Expeditionen teil, die sie nahezu auf den Gipfel schleppen. Sherpas verlegen die Fixseile am Berg, errichten die Hochlager, tragen die Ausrüstung und den Flaschensauerstoff für die zumeist westlichen Evererst-Touristen. Nicht selten müssen die Sherpas letztlich die überforderten Expeditionsteilnehmer ans kurze Seil nehmen um sie so wieder sicher vom Berg zu bringen. Der Mangel an Erfahrung und Können ist dabei nicht nur für die Everst-Touristen selbst gefährlich, sondern insbesondere auch für die Sherpas, die sich um die überforderten Expeditionsteilnehmer kümmern müssen. Zudem verursacht die Langsamkeit der Teilnehmer, in Verbindung mit der schieren Masse an Gipfelaspiranten an Tagen mit stabilem Wetter, Staus an Schlüsselstellen (insbesondere der berühmten Hillary Step). Hierdurch kommt es zu Verzögerungen beim Gipfelanstieg, wodurch der Aufenthalt in der Todeszone gefährlich verlängert wird. Insgesamt ist eine ziemlich gefährliche, traurige und dabei irgendwie auch absurde Situation am höchsten Berg der Welt, der mitunter schon als höchster Klettersteig der Welt verspottet wird. Einen Überblick über das Thema gibt zum Beispiel dieser Artikel der FAZ oder der Beitrag der Blogger-Kollegin Erika auf ihrem Blog ulligunde.com.
Hinweisen möchte ich an dieser Stelle vor allem auf einen wirklich spannender Beitrag in der (englischsprachigen) nepalesischen Zeitung Republica – The Week. In diesem Bericht wird auch die große ökonomische Bedeutung des Evererst-Tourismus berücksichtigt – ein Aspekt, der in der hiesigen Debatte oft vergessen wird. Trotz der großen wirtschaftlichen Bedeutung des Everest wird in dem Artikel ernsthaft die Option erwogen, den Berg für ein oder zwei Jahre “zu schließen”, um ihn vom Müll zu befreien und eine Wetterstation zu errichten. Letzteres ist erforderlich, um die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen auf die Bedingungen am Berg besser einschätzen zu können. So führen die veränderten Wetterbedingungen beispielsweise zu einem erhöhten Steinschlagrisiko. Die vorübergehende Schließung des Everest sei dabei ökonomisch zu verkraften, da es genügen Ausweichberge gebe.
Zudem wird zu Beginn des Artikel die Geschichte von Pemba Janbu Sherpa erzählt, der Mitte Mai als Hochträger am Everest im Einsatz war und mehrere Menschenleben rettete. Die Schilderungen sind sehr beeindruckend und lesenswert. Im Dot Earth Blog auf nytimes.com gibt es zudem ein sehr eindrucksvolles Audiostatement von Pemba Janbu Sherpa zur Lage am Everest. Seine Schilderung der Situation sind sehr eindringlich. Seine Schlussfolgerungen überzeugen.
Lesenswert ist zudem der Bericht von Ralf Dujmovits (dem Mann von Gerlinde Kaltenbrunner) über seine diesjährige Evererst-Expedition. Er hat versucht, den Gipfel ohne Flaschensauerstoff und ohne Unterstützung durch Sherpas zu erreichen und musste letztlich kurz vor dem Gipfel aufgeben, da er sich nicht fit genug gefühlt hat. Es ist schon geradezu erfrischend, dass es neben den ganzen negativen Vergnügungspark-Tourismus-Geschichten noch so authentische Schilderungen vom Berg gibt. Ich bin von Dujmovits wirklich beeindruckt. Es erfordert sicherlich große Willenskraft, so kurz vor dem Gipfel die Grenzen des eigenen Körpers zu akzeptieren.
Insgesamt erscheint mir der Everest-Tourismus – um mit Erich Fromm zu sprechen – eindeutig als Ausprägung der “Haben”-Mentalität, die insbesondere in der westlichen Kultur sehr verbreitet ist. Der Gipfel verkommt zum Statussymbol für Menschen, die sonst schon alles haben. “Sein” sieht definitiv anders aus, als sich durch kommerzielle Expedition auf den Gipfel schleppen zu lassen. Andererseits darf man bei aller berechtigten Kritik nicht unter den Tisch fallen lassen, dass es auch als Teilnehmer einer kommerziellen Expedition eine große Leistung und ein nicht unerhebliches Risiko ist, den Everest zu besteigen. Mitunter kommt es in der Berichterstattung schon so rüber, als ob jeder, wenn er denn nur genug Geld hat, auf den Everest spazieren kann. Dem ist mit Sicherheit nicht so.
Hier noch ein paar interessante Artikel zum Thema:
New York Times: Don’t Climb Every Mountain
BBC: Why climbers continue to feel Mount Everest’s allure
4-Seasons: Der ganz normale Wahnsinn: Saison am Mount Everest
Danke fürs Zusammentragen der vielen interessanten Links, die muss ich mir mal in Ruhe durchlesen. Mir hatte es vor zwei Wochen schon angesichts des Fotos von Ralf Dujmovits von der Aufstiegsschlange die Sprache verschlagen…
Ich konnte auch kaum Glauben, was ich auf den Bildern gesehen habe. In so einem Setting verliert für mich auch die körperliche Herausforderung ihren Reiz. Es wäre doch ein viel schöneres Erlebnis, auf eigene Faust einen Berg zu besteigen, der für einen selbst machbar ist.